Ungenützte Potentiale im Eisenbahn-Fernverkehr |
Wenn es darum geht, etwas für die Verbesserung der Eisenbahn zu tun, Marktanteile vom flugzeug zurückzugewinnen, und eine bessere Anbindung Wiens an die Staaten Osteuropas zu erreichen, werden zumeist Streckenausbauten verlangt, die sehr viel Geld kosten, und in der Kombination Tunnel + Lärmschutzwand auch die Reisequalität mindern. Ich vergönne der Eisenbahn ja gerne ihre Investitionen, aber angesichts der ungenützten Potentiale wären andere Maßnahmen wesentlich effizienter.
Die einzigen Direktverbindungen, die derzeit Wien durchqueren, sind solche von Westeuropa nach Budapest. Wer jedoch z.b. von Prag oder von Warschau nach Italien oder Kroatien will, wer aus der Slowakei oder aus Polen weiter in den Westen will, muß sich mit schlechten Anschlüssen herumplagen und zum Umsteigen in Wien auch noch wissen, daß die Straßenbahnlinie 18 zum Westbahnhof führt. Will jemand von Bratislava nach Venedig fahren, muß er frühmorgens in Marchegg mit 20 minuten wartezeit von einem Regionalzug in einen anderen umsteigen. Während es überhaupt kein Problem ist, in einem Tag von Paris nach Wien zu fahren, werden die 60 km nach Bratislava zum Schluß noch zur unüberwindbaren Hürde: Paris-Bratislava geht nicht ohne Nachtfahrt. Umgekehrt ist es genauso ein Krampf: Der letzte Schnellzug aus Bratislava fährt um 18.54 weg, der erste aus Wien kommt um 11.30 an. Reisen in die Tatra oder ins Slovensky Raj werden dadurch erschwert bis verunmöglicht. Dabei wären gerade Slowaken, die mit der Bahn in den näheren Süden fahren, weil sie sich keine Flugreise leisten wollen, und österreicher, die sparsam in der Slowakei urlauben die ideale Bahn-Zielgruppe. Summasummarum: Bei solchen ungenützten Potentialen, insbesondere was Nachtzüge betrifft (tagsüber könnte man ja auch umsteigen, wenns nicht ständig eben-nicht-Anschlüsse gäbe), braucht man sich über die Zunahmen des Flug- und Autoverkehrs nicht zu wundern, wer dann als Lösung Autobahnen fordert hat wohl überhaupt nichts verstanden. Und die Frage, ob Wien in den Transeuropäischen Eisenbahnnetzen eine Knotenfunktion einnehmen wird oder nicht, ist jedenfalls keine Oberbau- und lärmschutzwandtechnische, sondern zu 90% eine organisatorische!
Folgende Verbindungen laufen geographisch am günstigsten über Wien und verlangen am heftigsten nach wienquerenden Direktverbindungen:
apropos Nachtzüge: Wie schon erwähnt, verursacht ein Liegewagen ohne Bettzeug, also auch ohne Liegewagenschaffner keinen Schilling mehr an Kosten, als ein Sitzwagen, die Belegungsdichte ist die selbe. Von dem Publikum im EC Antonin Dvorak, der voll ist von Interrailern, die dann mit dem EN San Marco nach venedig weiterreisen, sicher ein großer Teil das Angebot Liegewagen+eigener Schlafsack zum Normalpreis sofort annehmen.
Ebenso gibt es mit Ausnahme eines Kurswagens nach Kiew keine Züge, die aus Wien kommend, Bratislava durchqueren und weiter nach Osten fahren. Bei zwei so nahe zueinander gelegenen Großstädten wäre es naheliegend, einen großen Teil der Fernzüge über die eine Stadt hinaus bis in die andere zu führen, um zumindest weiter Umsteigemöglichkeiten zu erhalten. Auch wäre es denkbar, einige der Züge Wien - Budapest über Bratislava - Sturovo zu führen. Trotz Milliardeninvestitionen ist jedoch genau das Gegenteil der Fall:
Die Strecke Petrzalka - Bruck a.d. Leitha wurde neu bzw. ausgebaut. Mit dem Resultat, daß es jetzt drei, statt früher 4 Schnellzüge täglich gibt - nach Budapest sind es beispielsweise 9 - nur mehr wenige Umsteigeverbindungen über Marchegg, und es ebenselbige 8 Regionalzüge gibt. Geben sollte genaugenommen, denn die öBB haben die Strecke ins Kursbuch geschrieben, ohne daß das notwendige zollrechtliche Abkommen bestand, das die Kontrolle im Zug ermöglichen würde. So könnten sie nur im Bahnhof Kittsee kontrollieren, und da könnte man ja Verspätung bekommen, also fahren sie überhaupt erst in Kittsee weg. Auf die Idee, halt 5 Minuten später in Petrzalka anzukommen, und 5 Minuten früher wegzufahren, und beim letzten Zug sicherheitshalber pünktlich abzufahren, und die Verspätung in Kauf zu nehmen, bekommt man keine Antwort, und der Vorschlag, dafür wengistens die Frequenz auf der Strecke Marchegg - Devinska Nova Ves zu verdichten, wird mit der Begründung abgelehnt, daß die Schnellzüge (drei am Tag !!!) ja eh ungehindert fahren. Ja sie sind nichteinmal bereit, in der jederzeit aktualisierbaren Internet-Fahrplanauskunft die Züge zu streichen. Erst am 1.August, also zwei Monate nach inkrafttreten des Fahrplanes, hat es die ÖBB geschafft, den Regionalzugsverkehr nach Petrzalka aufzunehmen, inzwischen werden wohl einige Fahrgäste zwangsweise in Bratislava übernachtet haben, oder mit dem Taxi heimgefahren sein, und ebenso werden einige Slowaken ihre Fernreiseanschlüsse in Wien verpaßt haben, und ebenso zu ungeplanten übernachtungen gezwungen worden sein.
Eine wesentlich billigere, effizientere und umweltschonendere Maßnahme, als der Ausbau der Straßen in den Osten wäre es, endlich wieder ordentliche Fernreiseverbindungen zu schaffen, anstatt auf immer teureren Geleisen immer seltener und langsamer zu fahren. Es ist im übrigen anzunehmen, daß die wesentliche Verantwortung für diese Zustände bei der ÖBB liegt, denn die Verbindungen innerhalb und zwischen den östlichen Nachbarländern sind wesentlich besser:
Hervorragend sind die Zugverbindungen zwischen Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern, wesentlich besser als die Verbindungen nach Westeuropa, aber auch besser als zwischen Westeuropäischen Ländern. Züge, die kurz vor einer Grenze im Nichts enden, sucht man vergebens, dafür findet man jede Menge wirklicher Fernverbindungen, so kommt man von Prag aus selbstverständlich in direkten Kurswagen nicht nur nach Moskau, sondern auch nach Petersburg und sogar nach Sotschi an der Schwarzmeer-Ostküste. Während man aus Wien kommend in Polen nur Warschau oder Krakau direkt erreicht, kann man aus Budapest direkt nach Stettin, und aus Prag direkt nach Danzig reisen. Sehr eindrucksvoll ist auch die Reaktion auf den Jugoslawien-Krieg: Es gab immer schon zweimal wöchentlich einen direkten Kurswagen von Prag nach Thessaloniki. Infolge der Zerstörung des jugoslawischen Bahnnetzes wurde dieser nicht einfach eingestellt, sondern er fährt halt einen Umweg, nämlich über Bukarest und Sofia, auf dem Weg liegen mindestens zwei Städte ohne zentralen Durchgangsbahnhof und sechs verschiedene Bahnverwaltungen, darunter auch völlig darnieder liegender Länder wie Rumänien und Bulgarien. Man hat diese Verbindung auch gleich dazu benützt, eine tägliche, direkte Kurswagenverbindung von Prag an die bulgarische Schwarzmeerküste einzurichten, an den geraden Tagen nach Burgas, an den ungeraden Tagen nach Varna. Man fährt spätabends in Prag weg und ist am übernächsten Tag in der Früh am Ziel, die Fahrt kostet einen also auch nur einen Tag, den bräuchte man für den Charterflug mit allem drumherum auch. Erbärmlich hingegen sind die Verbindungen über österreich nach Süden, insbesondere nachdem die bestens frequentierte Umsteigeverbindung vom EC Antonin Dvorak aus Prag zum EN San Marco nach Venedig zerstört wurde. Konnte man früher um 17.43 in Prag wegfahren, und mit einer halben Stunde Anschluß in Wien nach Venedig weiterfahren, so muß man jetzt um zur gleichen Zeit anzukommen, entweder um 14.39 mit dem EC Vindobona nach Wien aufbrechen, allerspätestens jedoch um 15.10 mit umsteigen in Veseli nad Luznice und Gmünd. Ob die Stadtrundfahrt mit dem D-Wagen die zweieinhalb Stunden Zeitverlust wettmacht? Wer beispielsweise in Prag wohnt, am letzten Tag vor dem Urlaub bis 16 Uhr arbeiten muß, und keine Lust hat, mitten in der Nacht umzusteigen oder um Mitternacht in Wien für 6 Stunden ein Hotelzimmer zu beziehen, der erreicht Varna schneller als Rom.
Eröffnung der neuen
Bahnlinie Parndorf - Kittsee - Bratislava
Bundesminister Dr. Caspar Einem
und der slowakische Verkehrsminister Dr. Gabriel Palacka
eröffneten am 15. Dezember 1998 die neue Bahnstrecke Parndorf -
Kittsee - Bratislava
. In der Vorwoche einigten sich das Land Burgenland und die ÖBB
über die Gestaltung des Fahrplanes auf dieser Strecke. Mit
Beginn des neuen ÖBB-Fahrplanes ab 30. Mai 1999 werden an
Werktagen (außer Samstag) 16 Regionalzüge zwischen Petrzalka und Bruck an der Leitha (mit Anschluß zum
Wiener Südbahnhof) in eingesetzt. Die Fahrzeit für die Pendler
zum Beispiel von Gattendorf bis Wien Süd liegt unter einer
Stunde. Ab 7. Januar 1999 wird vorerst ein Eilzugpaar zwischen
Wien und Petrzalka verkehren. Ende Mai 1998 wird mit 3 Zügen je
Richtung der Schnellzugverkehr zwischen beiden Donaumetropolen
aufgenommen. Durch die Verwendung von Mehrfrequenzlokomotiven der
Baureihe 1014 können diese Züge bis zum Hauptbahnhof von
Bratislava durchfahren und werden nur in Kittsee und Petrzalka halten. Nach einer Fahrzeit von nur 50
Minuten werden diese Schnellzüge in der jeweils anderen
Hauptstadt "landen". Das Land bestellt diesen Fahrplan
bei den ÖBB für
ein Jahr und leistet dafür einen finanziellen Beitrag zur
Betriebsführung in Höhe von 6 Millionen Schilling. Damit
unterstreicht das Burgenland neuerlich seine bundesweite
Vorreiterrolle in Bezug auf Leistungsverträge mit den ÖBB zum
Wohle seiner Pendler.
From: Michael Suda
Date: 7 May 2000
Ich bin kein Morgenmensch, also suche ich nach einem
Reiseziel, das zu christlicher Aufstehzeit in einem Tag
bewältigt werden kann. War da nicht vor kurzem was über die
Preßburgerbahn? Also gut, die wiederaufgebaute
"Transdanubische" kenne ich eh noch nicht, also
Bratislava.
9.20 Uhr, Samstagmorgen. Der Wiener Südbahnhof dämmert in
fiftieshafter Betonbunkertrostlosigkeit und funktionaler
Unsinnigkeit wie eh und je. Ein ÖBB-Schaltermensch - vor den
Auslandschaltern herrscht verdächtig wenig Andrang - versucht
ein müdes Witzerl, akzeptiert aber dann brav meine Kreditkarte.
Für ATS 176,-- oder Euro 12,79 reist man zweiter Klasse ab
VOR-Kernzonengrenze -- Bratislava (hlavna stanica oder Petrzalka)
bis zur Grenze zum Vorteilsticket-Halbpreis.
Bei den neun Bahnsteiggleisen der Ostbahnebene angekommen,
erweckt zuerst EC104 "Sobieski" Wien - Warszawa mit
Kurswagen nach Krakow die Neugier. Auf der Anzeigetafel wurde
bereits in der Haupthalle eine Abfahrtsverspätung von 20 Minuten
avisiert. Der Zug ist augenscheinlich nicht bespannt. An der
Zugspitze angekommen, höre ich, wie ein Verschieber irgendwas
von "Triebfoahhrzeug ned do" murmelt, bevor er sich zur
Gratis-Gesichtsbräunung auf die Kante des Nachbarbahnsteigs
hockt und dem Gras auf den Schienen der Ostbahn beim Wachsen
zuschaut. Gott sei Dank scheinen die überwiegend polnischen und
österreichischen Fahrgäste des "Sobieski" Schlimmeres
gewohnt zu sein, man nimmt es mit Humor. Woanders, ich denke da
an ein Nachbarland mit unverkennbar ähnlicher Muttersprache,
hätte die demonstrative Nicht-Bereitschaft der Eisenbahner zu
schuldbewusster Hektik, wahrscheinlich schon zu erhöhten
Blutdruckwerten und Klagsdrohungen geführt. Aber ein bisserl hat
man schon auch den Eindruck, auf einem Wüstenbahnhof zwischen
Beirut und Damaskus in den Dreißigerjahren zu sein, wo jede
Zugbewegung vor allem in Allahs Hand zu liegen scheint, und nicht
auf einem mitteleuropäischen Hauptbahnhof der Gegenwart.
Endlich rollt 1014.013 aus Richtung Heizhäuser heran und
bespannt den Zug. Nachdem das vielbeschworene Zugteam noch
händisch zwei bis drei kaputte Türen der polnischen Garnitur
mit einigem Kraftaufwand gebändigt hat, verlässt EC104 mit plus
31 Minuten Wien Südbf (Ost).
D401 Wien Südbahnhof (Ost) - Bratislava
hlavna stanica besteht aus 3 Bmz der ÖBB-Reihe
21-70 (ohne Klimaanlage) und einem ABmz 30-70 mit Aircondition.
Bespannt wird die Komposition mit der 1046.016, womit diese Reihe
wieder einmal genau zu dem Einsatz kommt, für den sie Ende der
Fünfzigerjahre entworfen wurde: Leichtschnellzugsdienst, dort wo
es flach ist.
Der Zug ist bei Abfahrt um 10.16 Uhr (plus eine Minute) etwa
zu 25-30 Prozent besetzt, nicht berauschend aber besser als ich
erwartet habe. Bis hinter Bruck an der Leitha, wo, obwohl Halt
für alle Schnellzüge Richtung Budapest, durchgefahren wird,
gibt's auf der Fahrt nach Osten nichts Bemerkenswertes zu
berichten. In Bruck Frachtenbahnhof wechseln wir aufs linke
Streckengleis (Gleiswechselbetrieb), von wo aus wir in Parndorf
in Richtung Nordosten auf die 1897 eröffnete ehemalige
"Transdanubische Lokalbahn" (ungarisch: dunantuli
helyerdekü vasut) abzweigen, die seit 1945 an der Grenze
nördlich des Bahnhofs Kittsee unterbrochen war, und auf der im
Abschnitt Parndorf - Kittsee der Personenverkehr 1951 eingestellt
und erst vor einem Jahr elektrisch wieder aufgenommen wurde.
Bei der Rekonstruktion wurde die Strecke eigentlich in alter
Lage vollkommen neu gebaut, wobei das Unterbauplanum für zwei
Gleise ausgelegt wurde, die meisten Brücken aber nur mit
Tragwerken für das bestehende eine Gleis versehen wurden. In den
Siedlungsbereichen haben sich dafür die Lärmschutzwandbauer
exzessiv ausgetobt. Über den ferngesteuerten Bahnhof Gattendorf,
wo neben den bestehenden noch zwei weitere Gleise Platz hätten,
wird der Grenzbahnhof Kittsee - erster Halt seit Wien - erreicht,
der mit einem Fahrdienstleiter besetzt ist.
Das Wetter ist einmalig schön, und der Mai so grün, wie er
eben nur wenige Wochen lang ist. Von den Hügeln der Hundsheimer
Berge südlich der Donau grüßt der inoffizielle
NATO-Horchposten Königswarte, weiter östlich schieben sich die
Leistungsnachweise realsozialistischer Wohnbauindustrie, besser
als "Plattenbauten" bekannt, als Vorboten der
slowakischen Hauptstadt unübersehbar ins Bild.
Kurz hinter Kittsee passiert die Bahnstrecke, jetzt ziemlich
nach Norden weisend, die österreichisch-slowakische Grenze und
gelangt damit unmittelbar ins Stadtgebiet der Hauptstadt Bratislava
. Von rechts kommt die eingleisige Strecke vom ungarischen
Hegyeshalom über Rusovce, beide Bahnen münden in den Bahnhof Bratislava-Petrzalka .
Wir fahren mit Schwung ein. Die westlich ersten drei Gleise
sind von der Einfahrt aus Richtung Kittsee bis zu einem Trenner
in Bahnhofsmitte mit 15 kV/16,66 Hz gespeist, ebenso ein
Stumpfgleis unmittelbar vor dem neuen, sauberen und schönen
Aufnahmsgebäude (Bratislava-Petrzalka war Jahrzehnte nur
Frachtenbahnhof ohne Reisezughalte). Wir kommen um 11.00 Uhr
pünktlich an. Laut Zuganzeiger am Bahnhof (Punkt-Matrix
slowakischer Fabrikation mit sehr gutem Informationsgehalt) haben
wir 15 Minuten Aufenthalt für Lokwechsel und Grenzkontrolle. Die
ZSR-Diesellok
742 297-5 zieht die 1046.016 ab und stößt sie am
Nebengleis in den 15 kV-Bereich zurück, "stoßen" ist
übrigens wörtlich zu nehmen, die abgebügelte ÖBB-Maschine
wird abgestoßen. Die Skoda-Elektrolok 240 136-2 der ZSR
übernimmt den Zug, nach den alten Farbcode aus der Zeit der CSD
ist sie gelb-rot und damit als Wechselstrommaschine ausgewiesen.
Wer nur möglichst schnell in die Stadt will, ist gut
beraten, hier auszusteigen und trotz erkennbarer
Stadtrandwüstenei im Umkreis mit dem Bus weiterzufahren, denn
nun beginnt das Trauerspiel.
Eigentlich wäre schon die Stadtumrundung von 15 Minuten
Dauer bis zum Hauptbahnhof nur für Bahnfans von Wert, aber
österreichische Gendarmerie und slowakische Polizei haben heute
beschlossen, uns eine Galavorstellung davon zu geben, was
Schengen-Grenzkontrolle so heißt. Zuerst inspizieren die
Österreicher noch eher gelangweilt unsere Pässe, ob nicht einer
illegal aus dem "europäischen Haus" abpaschen will,
der begleitende Zöllner macht nicht einmal den Mund auf.
Inzwischen ist es 11.15 Uhr - Planabfahrtszeit -, auf der
elektronischen Anzeige erscheint sofort, auf slowakisch
natürlich, "10 Minuten Verspätung".
Wir warten auf die slowakischen Grenzer. Die kommen auch,
tippen geduldig jede Passnummer einzeln in ein kleines
elektronisches Gerät, das offenbar jeden bösen Buben aufspüren
kann - so er mit dem eigenen Pass reist. Dann kommt noch ein
dekorativer Stempel in selbigen, was mich immer noch entzückt.
Inzwischen ist es 11.25 Uhr, und ich frage mich langsam, ob die
Herren Grenzwächter die Prozedur bei einem vollbesetzten oder
gar aus mehr als vier Wagen bestehenden Reisezug bei weniger als
einer Stunde Aufenthalt schaffen. In so einem Fall wären wohl
die Sicherheit Schengeneuropas oder der slowakischen Republik
ernsthaft in Gefahr.
Auf dem Nachbarbahnsteig hält inzwischen bereits Schnellzug
R276 "Slovan" Miskolc - Budapest - Bratislava - Praha
über Györ und Hegyeshalom. Kurz nachdem der abgefahren ist,
geben auch die Grenzwächter unseren Zug frei. Inzwischen ist es
11.30 Uhr, Verspätung demnach plus 15 Minuten. Wir fahren auf
dem linken Streckengleis kurz hinter R276 aus und setzen zur
weiträumigen Umrundung des Ostens der slowakischen Hauptstadt
an. Bald hinter der Donaubrücke, auf deren Tragwerk obenauf eine
vierspurige Schnellstraße gesetzt ist, holen wir den
"Slovan", der rechts fährt, ein und liefern uns eine
etwa fünfminütige Parallelfahrt, bis das rechtsseitige
Einfahrsignal des Vorortbahnhofs
Bratislava-Nove Mesto unseren Punktesieg (beide Züge sind
mit ZSR 240ern bespannt, der "Slovan" aber deutlich
schwerer) besiegelt.
Um 11.48 sind wir dann endlich in Bratislava hlavna stanica . Ein
kurzer Bahnhofsrundgang samt Tausch einiger österreichischer
Euro-Derivate gegen slowakische Kronen zeigt, dass sich seit
Fertigstellung des Umbaus Anfang der Neunziger, bei dem eine neue
Kassenhalle vor das alte Gebäude gesetzt wurde, nichts
verändert hat. Ich weiß nicht, ob man das verallgemeinern kann,
aber verglichen mit der um 1990 hier herrschenden, fast
chaotischen Hektik und dem früheren Gedränge, ist es heute fast
kontemplativ ruhig. Ein Indiz für den Bedeutungsverlust der
Bahn? Der Straßenbahnterminal vor dem Bahnhof wurde schon in der
kommunistischen Ära fertig, die Rolltreppen dorthin sind
inzwischen endgültig kaputt und eingemottet, die elektronischen
Abfahrtsanzeigen scheinen aber noch so einigermaßen zu
funktionieren.
An der Ecke Prazska - Sancova - Stefanikova steht, der Stadt
zugewandt und anscheinend denkmalgeschützt (Tafel), das erste
Stationsgebäude des Hauptbahnhofs von Bratislava von 1847/48,
das daran erinnert, dass die Station ursprünglich ein
Kopfbahnhof war, der erst geschätzt zwischen 1870 und 1880 zum
heutigen im Bogen liegenden Durchgangsbahnhof umgebaut wurde.
Mittag und früher Nachmittag vergehen mit Stadtrundgang, ein
paar Strecken mit der Tramway (sehr interessant: der
Straßenbahntunnel unter dem Burgberg, der mir schon bei meinem
ersten Besuch in den Siebzigerjahren, als er noch ein
Straßentunnel war, aufgefallen ist) und dem Obus
(empfehlenswert: die Strecke über den Burgberg, Linie 207),
sowie Kaffeepause. Sehr hübsch am Hodzovo namestie das endlich
renovierte Barockschlösschen, jetzt Sitz der slowakischen
Präsidentschaftskanzlei. Die davor liegende realsozialistische
Planungswüste, Ergebnis der verheerenden Idee, eine
Schnellstraße von der neuerbauten Hängebrücke mitten durch die
Innenstadt zu legen, vergisst man besser gleich wieder.
Interessanterweise wurde die hässliche Fußgängerpassage
inzwischen anscheinend geschlossen. Unter ihr befinden sich
gerüchteweise die Fundamente einer Station der geplanten Metro
vom Hauptbahnhof durch die
Innenstadt nach Petrzalka.
Die Rückfahrt möchte ich mit einem der ab
Bratislava-Petrzalka fahrenden Regionalzüge antreten. Ich
besteige daher an der Dostojevskeho den Bus Nummer 89. Obwohl auf
der der Haltestelle gegenüberliegenden Straßenseite bereits
einige Neubauten stehen, wirkt die schon seit rund zwanzig Jahren
aufgelassene Bahntrasse zum ehemaligen Bahnhof Bratislava-Nivy
immer noch wie eine Schneise im Stadtbild. Wir rollen auf der
Stary most/alten Brücke über die Donau. Neben dem engen
Straßentragwerk aus dem neunzehnten Jahrhundert liegt immer noch
das eingleisige Tragwerk der ehemaligen
"Transdanubischen", die dort bis in die Siebzigerjahre
direkter und schneller von Petrzalka ins Stadtzentrum gelangte,
allerdings ohne Direktverbindung zum Hauptbahnhof
.
Der Bus fährt über jene Straßen, in denen bis 1936 das
Gleis der Stadtstrecke der Lokalbahn Wien
- Preßburg lag. Bis auf den heute Sad Janka Kral'a genannten
Park am Donauufer schaut der Süden der slowakischen Hauptstadt
allerdings wenig erbaulich aus: hässliche Wohnblocks wechseln
mit breitgezogenen Straßenschneisen, Vollautobahnen,
Einkaufszentren und Industriebetrieben ab. An der Rusovska cesta
haben sich noch ein paar der alten dörflichen Häuser erhalten,
der Rest des bis in die Siebzigerjahre dörflichen Vororts wurde
von den Kommunisten in einer großen Assanierungs- und
Stadterweiterungsaktion niedergewalzt. Leider hat man dabei auf
den in ähnliche Fällen obligaten Straßenbahnanschluss
verzichtet, da die Stary most - damals schon -
erneuerungsbedürftig war und man auf den geplanten U-Bahnbau
warten wollte. So kam zum Stadtplanungs- noch das
Verkehrsplanungsdesaster. In den letzten Jahren hört man von
U-Bahnprojekten wieder sehr wenig, nachdem kurz nach der Wende
ein Vertrag mit einem französischen Konsortium über eine
Gummiradel-Metro nach den Vorbild von Lille unterschriftsreif
war. Baugruben für Sondierungsbohrungen aus der CSSR-Zeit in der
Innenstadt wurden inzwischen zugeschüttet.
Vom Bahnhof Petrzalka
spaziere ich auf der Kopcianska-Straße (heißt meiner Vermutung
nach: Kittseer Straße; Kittsee=ungarisch "Köpcseny"=
slowakisch "Kopcany") nach Süden. Am Südkopf des
Bahnhofs zweigt, durch Signal und Motorsperrschuh gesichert,
tatsächlich noch das Industrieanschlussgleis ab, das zwischen
1941 und 1945 das Streckengleis der Preßburgerbahn von Wien
kommend in den Bahnhofs Petrzalka
("Preßburg-Engerau") war. Einige hundert Meter
westlich steht, eingeklemmt zwischen den Damm einer neuen Straße
und Industriebetrieben, tatsächlich noch das Betriebsgebäude
der POHEV (Pozsony orszaghatarszeli helyerdekü villamos vasut /
Elektrische Lokalbahn Preßburg -- Landesgrenze =
Eigentümergesellschaft der ungarischen Teilstrecke der
ehemaligen Pressburgerbahn) mit der ehemals sechsständigen
Fahrzeugremise. Ich spaziere auf dem unkrautüberwucherten Gleis
über den ehemals zweigleisigen, kurzzeitigen (1914-1920)
Systemwechselbahnhof (15 kV/16,66 Hz Wechselstrom, 550 V
Gleichstrom, teilweise in Stromschiene).
Zurück am Bahnhof Petrzalka
passiere ich um 16.15 die dortige Grenzkontrollstelle (diesmal
darf der österreichische Gendarm meine Nummer in den modischen
Laptop tippen, bin aber anscheinend ungefährlich). Der ÖBB-Triebwagenzug
4020.008 ist gerade angekommen und steht im 15kV-Abschnitt zur
Rückfahrt bereit. Der Zug ist ab Bratislava
zu etwa 10 Prozent ausgelastet. Auf der slowakischen Anzeigetafel
ist als Zielbahnhof völlig korrekt "Wien Südbahnhof"
angegeben, wer sich allerdings auf das österreichische Kursbuch
verlässt, glaubt nur bis Bruck an der Leitha zu kommen. Zur
Planabfahrtszeit 16.34 bemüht sich die Fahrdienstleiterin der ZSR
persönlich auf den Platz und gibt dem Regionalzug 7612 um 16.36
mit der Signalkelle das Abfahrtssignal. Wir passieren ein
(Ausfahr-)Signal mit rotem und weiß blinkenden Licht, was ich
nach österreichischen Verhältnissen als Ersatzsignal
interpretieren würde, bei den ZSR bin ich mir aber nicht
sicher.
Bis Gattendorf gibt der Triebfahrzeugführer dem 4020er wegen
der leichten Verspätung spürbar die Sporen, dort sieht man auch
den Grund: bei Ankunft um 16.50 wartet Schnellzug 403 Wien
- Bratislava bereits auf die
Kreuzung, musste also wegen unserer Verspätung kurz
außerplanmäßig verhalten werden. Vielleicht war er aber auch
nur zu früh dran, denn wir sind nach meiner Uhr jetzt recht und
bummeln mit den ÖBB-übliche Fahrzeitreserven
der Ostbahn entgegen. Bei der Einfahrt in den Bahnhof Parndorf,
wo wir durchfahren, fallen mir im Ostbahngleis zwei kleine,
flache, gelbe Kästchen nebeneinander auf, in denen ich zwei
sogenannte Eurobalisen vermute, zwischen Parndorf und Hegyeshalom
soll ja ein entsprechender grenzüberschreitender Versuch mit
ETCS laufen.
In der Haltestelle Parndorf Ort (Abzweigung der Strecke nach
Neusiedl am See, Keilbahnsteig zwischen beiden Strecken) ruft
unserer Einfahrt mittlere Panik hervor. Da sich die ÖBB
nach Kräften auf die Informationsgesellschaft vorbereiten (kein
Personal, keine elektronischen Anzeigen, Aushänge und Durchsagen
bis zum Geht-nicht-mehr reduziert) stürmt ein Teil der
Fahrgäste, die auf dem Neusiedler Bahnsteig auf den kurz nachher
folgenden Eilzug aus Neusiedl am See nach Wien gewartet haben,
nervös in Richtung unseres Zuges, wobei einer gleich tollkühn
und leicht lebensmüde über das Streckengleis eins der Ostbahn
hüpft.
Um 17.05 sind wir in Bruck an der Leitha, wo wir am
Hausbahnsteig halten. Der Zug endet hier, wir aber de facto
vereinigt mit E2626 Neusiedl am See - Wien
Südbf (Ost) weitergeführt. Das ÖBB-Kurswagenverzeichnis weiß
aber, wie schon erwähnt, nix davon, wäre ja auch noch schöner,
sogar positive Neuigkeiten weiterzuleiten. Bei den Bratislava
scheint man das anders zu sehen. Um 17.12 fährt mit
dreiminütiger Verspätung zunächst Schnellbahnzug 26166 (S65)
Nickelsdorf -- Wien Südbf (Ost) ein, der hier von E2626
überholt wird, dieser folgt kurz darauf und kuppelt sich hinten
an unsere Garnitur.
Ein P***ke, äh ein Herr aus Deutschland, der schon jeden der
fünf Halte zwischen Bratislava und Bruck für eine
Zumutung gehalten haben dürfte, beginnt sich bei dem rund
fünfzehnminütigen Aufenthalt, den ich dazu nutze, einem der
sich im ÖBB-Bereich kaninchenhaft
vermehrenden Getränke- und Snackautomaten eine Getränkedose zu
entlocken, furchtbar aufzupudeln. Scherzkeks, der Mann hat
offenkundig nicht die selbe Anreise gemacht wie ich!
Da wir mit plus vier Minuten abfahren, kann er sich gleich
wieder beruhigen, denn der Lokführer scheint den Ehrgeiz zu
haben, uns pünktlich nach Wien zu bringen. Bis Gramatneusiedl (
einziger Halt bis Wien ) hat er eine Minuten
aufgeholt, in Wien sind wir tatsächlich fast pünktlich.
Fazit: Die Neuorganisation des Verkehrs Wien
- Bratislava seit Sommer 1999
bedeutet eine Verschlechterung, die psychologische Wirkung einer
Reise wie der beschriebenen auf nicht vorgewarnte
Gelegenheitsfahrgäste ist desaströs. Im Sommer 1991, am
Höhepunkt der Nach-Wende-Periode, verkehrten vier tägliche
Schnellzugpaare über Marchegg - Devinska Nova
Ves direkt nach Bratislava
hl.st. Die Fahrzeit betrug damals minimal 69 Minuten, trotz
teilweise miesen Streckenzustands und lahmer Dieseltraktion. Der
Grenzaufenthalt in Marchegg betrug dank Triebfahrzeugdurchlauf (ÖBB
und CSD/ZSR wechselten sich ab) und
Grenzkontrolle im fahrenden Zug nur zwei bis drei Minuten. Bis Bratislava-Petrzalka beträgt die
Planfahrzeit zwar dank Elektrotraktion jetzt nur 45 - 65 Minuten,
ein ähnlicher, ja noch niedrigerer Wert wäre aber bei
Schließung der Elektrifizierungslücke zwischen Hausfeldstraße
und Devinska Nova Ves auch über Marchegg
wohl spielend möglich gewesen. Für Tagesausflüge mag Petrzalka
als Endbahnhof bei drei Schnellzug- und acht Regionalzugpaaren
(Mo-Fr) auch dank der Bautätigkeit der ZSR
und brauchbarer Busanschlüsse eine zumutbare Alternative sein,
im internationalen Verkehr ist die Prozedur aus Lokwechsel für 15 Minuten
Fahrt bis zum Ziel- und Hauptanschlussbahnhof sowie das nervende
Ritual der Schengen-Grenzkontrolle umständlicher als so manches,
was man den Menschen in der Ära des Eisernen Vorhangs zugemutet
hat. Ergebnis: in dieser Relation deutliche
Fahrzeitverlängerung. Teurer ist der auf Kilometerbasis
berechnete Fahrpreis über Kittsee übrigens auch, laut Auskunft
am Schalter ist er für Bratislava-Petrzalka
und hl.st. einheitlich, die
Fahrkarte differenziert jedenfalls nicht.
Man kann nur hoffen, dass mittelfristig irgendwann einmal
doch wieder eine Grenzkontrolle im Zug möglich wird, nach
Erstellung der ersten Planumläufe für Reihe 1116 sollten
außerdem ein paar 1014er freiwerden, die den Lokwechsel ersparen
würden. Wenn es so weitergeht, wird man ein zweites Gleis Parndorf - Bratislava-Petrzalka jedenfalls
sicher niemals brauchen.